Weinalarm – Gaba do Xil
Man kurvt durch endlos scheinende Täler, über denen die Berghänge nicht sanft wogend, wie in der Toskana oder majestätisch aufstrebend wie in den Alpen liegen, sondern eher wie eine gleichgültige Drohung. Wenn die Luft neblig und regenschwanger ist, was hier öfter vorkommt, wirkt alles wie ein grau-wattiger Vorhang, in dem man unweigerlich verloren geht. Wenn die Sonne scheint, brennt sie und man ist erstaunt, wie wenig Schatten die Berghänge bieten. Die Berge Galiciens sind die Terra Incognita Spaniens. Man verirrt sich nur hierher, wenn man den Caminho wandert und dann berührt man sie auch nur auf einem gleichsam eingeübten Weg. Würde man links oder rechts abbiegen, hätte man schnell die Angst verloren zu gehen in diesem Sturm aus hügeligen Bergen – wie will man es sonst nennen – und endlosen Flusstälern und der unbestimmbaren Vegetation, die weder Wald noch Macchia ist, aber alles zu vereinnahmen scheint.
Als wir Telmo und Pablo das erste Mal in Larouco besuchen, müssen wir über eine schmale Brücke fahren. Ponte Romana sagt uns ein Schild. Und in der Tat sieht die Brücke aus, als hätten sie die römischen Legionen angelegt. Aber hier, so weit ab von allem? „Klar“ meint Pablo später, „die ist größtenteils noch original. So 2000 Jahre alt. Das war ein wichtiger Handelsweg hier am Rio Sil und am Rio Bibei, schließlich war einige Kilometer weiter Las Medulas, die mit Abstand größte Goldmine des Imperium Romanum und um von da zum nächsten Hafen zu kommen musste man durch diese Täler und über das kantabrische Gebirge.“ An diesem mittlerweile abgelegenen Platz haben Pablo und Telmo vor gut zwanzig Jahren fast verlassene Weinberge entdeckt: „Es war abenteuerlich“, meint Pablo, „wir haben hier Werkzeuge in den Weinbergen gesehen, die wir nur aus Museen aus der Mittelalterabteilung kannten. Und die Leute arbeiteten noch damit.“ Und tun das teilweise immer noch. „Die Leute haben uns verwundert angeschaut, als wir hier in Santa Cruz und As Ermitas durch die Weinberge gestiefelt sind.“ Das war wahrscheinlich gegenseitig. Die Einheimischen wunderten sich, dass da zwei Jungs aus dem Rioja kommen, wo doch toller und teurer Wein wächst und sich für die uralten Reben an den steilen Hängen interessieren, die man ja nur noch aus reiner Nostalgie und für den Eigenbedarf bestellte. Und die beiden Rioja-Boys staunten nicht schlecht über die Rebstöcke, die zum Teil noch vor der Reblaus-Katastrophe gepflanzt worden waren und von denen viele noch nie mit chemischen Pflanzenschutzmitteln in Berührung gekommen sind.
Kaum hatte Telmo hier die ersten Weinberge gekauft, kamen auch andere Winzer und Investoren und rund um den Rio Sil, den alten Goldfluss der Römer, brach eine neue Goldgräberstimmung aus. Kurzfristig jedenfalls, denn die spanische Immobilienkrise und der schwierige Anbau in der Region, zusammen mit den eher Kennern vorbehaltenen Rebsorten taten ihr übriges. Hier wächst halt kein Allerweltsrotwein, den man für 4,90 € auf den Markt werfen kann. Pablo meinte einmal: „Wir müssen für die Weine von hier eigentlich Preise erzielen, wie die Kollegen im Burgund, damit sich das rechnet.“ Das war vor den enormen Preissteigerungen an der Côte d´Or und selbst von den alten Burgunderpreisen ist man in den Bergen Galiciens weit entfernt.
Und damit kommen wir zum eigentlichen Wunder, das sich mir damals in der Region auftat, so kam es mir jedenfalls vor, den Godello oder besser Telmos Godello. Die Rebe wird gerne als „nett“ beschrieben und wir wissen, nicht nur im Weinbau ist das kein Kompliment. Aber als ich zum ersten Mal die Weißweine, die die beiden hier keltern, verkosten durfte, stockte mir der Atem: Das war nicht „nett“, das war ein toller, wenn nicht großer Wein. Bei den Roten hätte ich das gedacht, aber bei Godello? Das war nicht nur gut, das war besonders. Das war nicht Burgund, das war kein Riesling, es war etwas ganz anderes - und trotzdem war mir sofort klar, dass wird einer meiner neuen Lieblingsweine. Die ersten Flaschen trugen den Namen Branco de Santa Cruz und sie kamen von einem fast absurd steilen Weinberg, in dem man an Steinmauern unbestimmbaren Alters auf steilen Stufen hinabklettern musste. Neben Godello stand hier auch noch etwas Treixadura, Palomino und vielleicht auch noch anderes. Und weil das niemand so richtig haben wollte, wurden die Flaschen bei uns im Keller älter und älter und nach drei Jahren waren sie nicht nur noch gut, sondern besser und nach fünf großartig. Und dann hatten wir leider alles ausverkostet. Qualitätssicherungsmaßnahmen fordern ihre Opfer. Irgendwann rief Pablo an und meinte, „von dem Santa Cruz wird es in Zukunft viel weniger geben.“ Zum Glück fiel er mir direkt in die aufkommende Schnappatmung: „Nicht aufregen, denn dafür wird er noch besser und wir haben ja noch den Einstiegswein aus der Region, den Gaba do Xil.“ (Wird übrigens „Dschil“ gesprochen.)
Einstiegswein! Schon der erste Jahrgang, den wir hatten, war sensationell, jedenfalls für das Geld, aber Wein braucht Zeit. Jetzt, nach fast 19 tollen Jahrgängen, hat er den nächsten Schritt getan. Telmo und Pablo haben endlich ihre eigene Kellerei fertiggestellt und in den Gemeinden Santa Cruz und Larouco genug Weinberge zusammengekauft und instandgesetzt, so dass der Gaba do Xil jetzt nicht nur eine echte Erzeugerabfüllung, sondern auch noch ein Ortswein geworden ist. Die Weinreben stehen hier noch zum Teil in der alten Buschwein-Erziehung. Er erinnert ein wenig an Weine von der nördlichen Rhône, hat aber auch eine kleine burgundisch wirkende Reduktion und ist dann doch vollständig eigenständig. Komplett im Edelstahl ausgebaut, behält er seine herrliche Frische und die floralen Anklänge an weiße Blüten und Flieder, Kumquats, ein Hauch Orangenzesten, etwas weißer Pfeffer, Birnen und ein feiner, salziger Abgang. Saftig und samtig zugleich und hinten diese belebende mineralische Säure, die direkt nach mehr ruft.
Für mich der perfekte Wein, nicht nur zum Nationalgericht Pulpo alla gallega, sondern eigentlich zu allem, was aus der Region kommt. Der WineAdvocat gibt ihm ein Trinkfenster bis 2026. Nun ehrlich gesagt, bei dem 22er, obwohl eher aus einem heißen Jahr, würde ich nicht drauf wetten, denn schon die ersten Jahrgänge (auch vom Xil) haben mich, was das Reifeverhalten angeht, überrascht. Ich werde auf jeden Fall einmal ein paar Flaschen in mein „Chancen-Regal“ räumen und in vier bis fünf Jahren noch einmal nachsehen, was daraus geworden ist.
Und die anderen, trinke ich zum Pulpo, zu Sardinas, zum Bacalaho, den Camarones, Percebes, Mejillones, Gambas, Vieiras, Merluza, Cangrejos und was mir sonst noch so in den Einkaufskorb kommt. Oder einfach so, beim Sonnenuntergang im Garten. Salute!
Übrigens: Vom großen Bruder, dem Branco de Santa Cruz gibt es auch noch ein paar Flaschen. Leider ist der Wein aber limitiert.
Gut, dass ich von diesem Wein noch eine Flasche im Kühlschrank stehen hatte, denn bei den letzten Zeilen dieses Blogbeitrags habe ich nicht nur Durst auf ein Glas Gaba do Xil bekommen, sondern auch richtig Hunger auf Meeresfrüchte. Also gab es abends Pulpo, wie ich den zubereitet habe können sie hier lesen.
Pulpo alla gallega
… oder so ähnlich
Klar das Original wird mit gekochten Kartoffeln zubereitet und Holzspießchen sind zum Essen ein Muss, aber ich halte es eher so: Original ist was es am Markt frisch gibt und worauf ich gerade Hunger habe. Und da lagen eben auch diese ganz frischen Almejas (Venusmuscheln) Also gab es einen Pulpo freestyle gallega.
Und so einfach geht es und ist natürlich beliebig abzuwandeln: In Nordspanien röstet man den Knoblauch gerne an, so dass er ganz leicht gebräunt ist. Also hauchdünne Knoblauchscheiben (viele) in gutem Olivenöl in der Pfanne anrösten. Dann rausnehmen und zu Seite stellen. Dann die in Scheiben (ca. 1cm) geschnittenen Pulpo-Stücke darin sautieren. Dabei verlieren sie etwas Wasser, nach einiger Zeit salzen und mit Piementon de la vera, natürlich picante, würzen. Wenn der Pulpo weich ist, rausnehmen und auf die Seite stellen. Die gewaschenen Almejas zu dem Sud geben, Deckel drauf und kochen, bis sie sich geöffnet haben. Auch auf die Seite stellen. Den Sud auf großer Flamme einkochen und alles – Pulpo, Almejas, Knoblauch – wieder hinzugeben. Kurz erwärmen, abschmecken und vor dem Servieren noch einmal großzügig mit Piementon bestreuen.
Die Kartoffelwürfel gehen noch einfacher: Festkochende Kartoffeln würfeln, dann in kaltem Wasser ca. 15 Minuten die Stärke auswaschen. Trocknen – sonst explodiert die Fritöse - und in warmes Frittieröl geben, dann die Friture direkt hochschalten. So lange bei sprudelndem Fett garen, bis sie schön knusprig sind. In einem Sieb gut abtropfen lassen und mit Salz, Piementon und geröstetem und gestoßenem Kreuzkümmel (Cumin) würzen.
Buen provecho!