Vive Bordeaux
Wer es schafft, sich hunderttausend Fußballfelder auf einmal vorzustellen, bekommt eine Ahnung davon, wie groß und bedeutend das Weinanbaugebiet des Bordeaux ist: Rund um die gleichnamige Bischofsstadt werden jährlich rund 5,5 Millionen Hektoliter Wein produziert. “Klar, Klimawandel und Marktveränderungen machen auch vor Frankreich nicht halt”, sagt unser Bordeaux-Spezialist Bart. Das ändert jedoch nichts an seiner Liebe zum Bordelais und seinen Spitzen-Weinen.
In der Cité du Vin, dem Weinmuseum von Bordeaux, wird die Geschichte der Weinkultur lebendig – angefangen bei den ersten Weinbauern, die vor 5000 Jahren in Vorderasien Trauben in Most verwandelten. Und natürlich dreht sich hier auch alles ums Bordelais: Ob römische Feldherren, streng gläubige Bischöfe, englische Kolonialisten, niederländische Kaufleute oder der französische Adel – sie alle haben kräftig mitgemischt, als es darum ging, an den Ufern der Gironde eines der bis heute bedeutendsten Zentren der Weinwirtschaft zu erschaffen. Nur die Barbaren störten vorübergehend den Aufstieg des Bordelais zur europäischen Weinregion Nummer eins, der mit der Trockenlegung des Médocs seinen Lauf nahm.
Heute kommen die feinsten Tropfen aus dem Bordeaux, wahre Ikonen der Weinwelt, und für so manche Kiste Spitzen-Bordeaux könnte man sich auch ein Auto kaufen. Ich habe viele Jahre gebraucht, um dieses Erbe menschengeschaffener Kulturlandschaft mit seinen legendären Weingütern zu ergründen und zu verstehen, warum ein Pomerol völlig anders ist als ein Wein aus Pauillac oder aus Saint-Émilion. Ich will Ihnen die Einzelheiten meiner langen Entdeckungstour ersparen und empfehle Ihnen stattdessen, sich selbst auf eine Reise durch die magische Weinwelt des Bordeaux zu begeben und all den Geschichten zu lauschen, die sich hinter jeder Flasche und jedem Château verbergen. Am besten fangen Sie, wie einst auch ich, im Kölner Weinkeller damit an.
Château la Fourvieille
Der Guibot stammt vom rechten Ufer der Gironde: vom Plateau bei Saint-Émilion, dem höchsten Punkt im Bordeaux überhaupt, der Gegend um Puisseguin. Doch nicht nur die besondere Lage macht den Guibot La Fourvieille zu einem besonderen Wein. Warum ich das sage? 2018 war ja eigentlich überall ein recht guter, warmer Jahrgang. Und Bioweine wie diesen hier gibt es zunehmend auch im Bordeaux (Brigitte und Eric Destouet gehörten zu den ersten Châteaux, die auf bio umgestellt haben). Auch die deutliche Merlot-Prägung mit etwas Cabernet Franc überrascht nicht wirklich. Nein, es ist etwas anderes, was mir an diesem Wein so gut gefällt: Er ist durch und durch freundlich, mit präsenten Fruchtnoten und rauchigen Tanninen von französischer Eiche. Dabei längst nicht so rustikal, wie man es von manch anderem Wein aus den Satellitenlagen um Saint-Émilion erwarten würde, und dennoch mit einem ebenso guten Preis-Leistungs-Verhältnis. Hier und jetzt auf den Tisch, zu Salz, Brot oder gegrilltem Entrecôte, eine großartige Wahl. Oder aber noch eine Zeit lang in den Weinkeller damit – dann passt er perfekt zu deftigen Wildgerichten.
Fugue de Nenin
Ein sogenannter Zweitwein mit der Handschrift von Familie Delon (auch Inhaber des legendären Leoville Las Cases): Viele namhafte Châteaux bieten seit dem 19. Jahrhundert Zweitweine an, die meist von jüngeren Rebstöcken stammen und dadurch nicht ganz die Klasse der Grand Vins erreichen. Dennoch bleibt die Signatur des Châteaus erhalten und die Qualität ist trotz des günstigen Preises erstaunlich. So wie bei diesem 2018er aus dem Pomerol: Sicherlich etwas leichter als der Erstwein dieses hervorragenden Nenin-Jahrgangs, dessen Qualität mit einer perfekten Balance von dunklen Früchten, exotischen Gewürzen, einer vielschichtigen Merlot-Struktur und 94 Suckling-Punkten durch die Decke geht.
Château Fonplégade
Vorhang auf und Applaus bitte: Das erste Trinkfenster für diesen wundervollen Saint-Émilion ist eröffnet! Für James Suckling satte 95 Punkte wert – und auch für mich persönlich ganz großes Kino. Satte Beerennoten, kraftvoll und dunkel, dazu saftige Herzkirschen im perfekten Zusammenspiel mit feinen Tanninen, umweht von einem Hauch Zeder und einem dezent rauchigen Flair. Ein Bordeaux, der den Gaumen umhüllt wie die facettenreiche Stimme einer Diva und der von der Bühne abgeht wie ein rauschendes Kleid, das im langanhaltenden Jubel des Saals in der Ferne verschwindet. Zu viel Pathos? Ich schlage vor: einfach mal probieren.
L'audacieux de Franc-Baudron
Ein sympathisches Château, ich bin selbst vor Kurzem dort gewesen: Sophie Foray und Charles Guimberteau gehören zu einer jüngeren Winzergeneration, für die Bio-Qualität längst eine Selbstverständlichkeit darstellt, während sich dieser Trend beileibe noch nicht bei allen Châteaux herumgesprochen hat. Früher war das mal ein gemischter Bauernhof, also vollkommen unspektakulär: etwas Vieh, etwas Getreide – und eben auch Weinreben, die hier auf den Hochebenen bei Saint-Émilion seit jeher von der Sonne verwöhnt werden. Heute gilt das Château Franc-Baudron als Geheimtipp für Bordeaux-Weine abseits des Mainstreams. Der Dreiklang aus Merlot, Cabernet Franc und Cabernet Sauvignon zeigt sich dabei wunderbar kraftvoll am Gaumen, mit dunklen Beeren und schwarzer Wildkirsche, dazu eine bereits wunderschön ausbalancierte Tanninstruktur. Und ja, einen Tick rustikal ist der LʼAudacieux durchaus auch, etwas ländlich, könnte man sagen, aber wer den ersten Schluck probiert hat, wird den zweiten garantiert nicht versäumen. Der 2016er ist auf dem Punkt, also her mit dem Boeuf, dem Wildschweinbraten, den Pilzen oder den Maronen.
Château Haut-Brisson
Dies ist einer der ausgesuchten Weine, die wir jung einkaufen, um sie dann bei uns im Kölner Weinkeller noch ein Weilchen reifen zu lassen. Bedeutet nicht, dass der Haut-Brisson nicht auch noch länger lagerfähig wäre. Ganz im Gegenteil, er kann gut und gerne weitere zehn Jahre vertragen. Aber wer ihn schon heute öffnet (auch weil die Neugier am Ende meist größer ist als die Geduld), macht nichts verkehrt: ein sehr feiner, gradliniger, mittelschwerer Bordeaux mit reifer Frucht an der Nase und leichter Würze am Gaumen. Bei alledem nicht laut, nicht fett und eben auch nicht zu schwer. Mit einem Wort: ein großartig ausbalancierter Saint-Émilion! Dahinter stecken übrigens Jérôme Aguirre, ein erfahrener Kellermeister aus dem Baskenland, und der berühmte Önologe Michel Rolland. Beide führen weintechnisch gesehen Regie im Château Haut-Brisson, das in den 90er Jahren von dem in Vietnam geborenen Banker mit Büro in Hongkong, Peter Kwok, erworben wurde: „Als ich das Château Haut-Brisson kaufte, ahnte ich nicht, dass ich mal so viele chinesische Nachbarn haben würde“, sagt Kwok, der das Château nach 20 Jahren an Stéphan Schinazi übergab. Mit ihm residiert hier nun wieder ein „waschechter Bordelaiser“.
Château Poujeaux
Das mehr als 200 Jahre alte Château Poujeaux gilt unter Kennern als absoluter Geheimtipp, denn die Weine aus dem Château konnten sich schon immer mit jedem Grand Cru Classé messen. Matthieu Cuvelier weiß, wie es geht: vier Wochen Maischegärung in Beton und Edelstahl, etwas malolaktische Gärung – und dann ab in die gestapelten Barriquefässer, die jährlich zur Hälfte aus neuer französischer Eiche bestehen. Das gilt auch für diesen sonnenreichen Jahrgang aus der Ebene um Moulis, nicht weit von den Ufern der Gironde. Kurzcharakteristik: dunkle Beeren, Kirsche, florales Bouquet. Dazu seidige Tannine, eine schöne Mineralität und ein königlicher Abgang.
Clos de Jacobins
Ursprünglich ein frühmittelalterliches Weingut des Jakobinerordens, der hier bei Saint-Émilion – auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela – die ersten Reben des Bordelais kultiviert hat. Der 2015er Clos des Jacobins ist ein verdienter Grand Cru Classé: Hinter den tiefen Purpurtönen zeigt er sich frisch und klar, mit wunderbaren Brombeer- und Blaubeernoten und etwas Pflaume. Dazu ein Hauch Walnuss, eine Prise Pfeffer. Perfekte Trinkreife mit dichter, gut eingebundener Tanninstruktur und einem langen Abgang. Das ist ein Saint-Émilion, wie er sein soll: Merlot-geprägtes Cuvée sowie etwas Cabernet Franc und ein Quäntchen Cabernet Sauvignon. Zum Niederknien!
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