Salcheto – Der geniale Michele Manelli
Manchmal fragen wir uns, wie Michele das alles macht und was aus ihm geworden wäre, wenn er weiterhin ein Fachmann für internationales Steuerrecht geblieben wäre. Die Steuererklärungen in allen Ländern auf einem Bierdeckel? Wahrscheinlich dann doch eher auf einem Weinetikett, aber aus biologisch nachhaltiger Herstellung, da sind wir uns sicher.
Zum Glück für die Weinwelt hat er sich aber in die Toskana, in den Ort Montepulciano und in den Weinbau verliebt und das Weingut Salcheto direkt unterhalb des mittelalterlichen Ortes gegründet. Vor lauter Schwärmerei darüber, was an diesem Weingut und daran, wie es betrieben wird, besonders ist, geraten die herausragende Qualität und der eigenständige Charakter von Micheles Weinen oft etwas in den Hintergrund ... Sie sind vor allem so besonders, weil sie sich nicht anbiedern. Sie sind auf ihre Art und Weise modern, weil sie die Tradition respektieren und bei aller Finesse immer eine Art rustikalen Unterton haben, der unterstreicht, dass sie echtes Handwerk sind.
Zurück zu Micheles Idee des Weinmachens: „Als ich diesen Platz entdeckt habe“, hat er uns erzählt, „habe ich sofort überlegt, wie man das, was wir hier haben, erhalten kann. Wie lässt sich die Natur, die in jahrtausendelangem Zusammenspiel mit der menschlichen Bewirtschaftung dieser Region eine einzigartige Umgebung hervorgebracht hat, bewahren und fördern? Ich habe viele Weinberge gesehen, die totes Land sind, viele Weingüter, die Technik als Herrschaft über die Natur missverstehen. Das wollte ich irgendwie anders machen …“ Und das hat er geschafft! Und zwar so gut, dass sich ihm mittlerweile viele anschließen und ihn um Rat fragen. Und das „irgendwie“ heißt, dass er mit dem „anders machen“ auch nie fertig wird. Es ist eine stete Herausforderung und gleichzeitig ein Quell der Freude für ihn. Er hat das Weingut sofort auf biologischen Anbau umgestellt und man ist fast versucht zu sagen: Geschenkt! Aber in der Toskana war das – und ist es immer noch – eine Besonderheit. Keiner weiß genau, warum. „Vielleicht liegt das weniger an den Herausforderungen, die sich für den Weinbau daraus ergeben“, sagt er nicht ohne ironisches Zwinkern, „denn die sind lösbar, sondern eher an denen, die in der italienischen Bürokratie auftauchen … Aber mit sowas kenne ich mich ja aus … ein völlig anderes Vorleben kann ja durchaus hilfreich sein.“ In der Tat, denn während ich diese Zeilen schreibe, muss ich gerade an mein Literaturstudium zurückdenken. „Aber“, meint Michele, „biologischer Anbau ist gut, doch so wie wir unsere Erde nutzen, müssen wir natürlich weiterdenken. Wir reden alle von Nachhaltigkeit und irgendwie warten wir, dass etwas Großes passiert und plötzlich alles nachhaltig ist. So wird das aber nicht gehen, das sind viele, sehr viele kleine Schritte.“ Ideenreichtum und Enthusiasmus, eine gewisse Verspieltheit und die unbändige Lust, Neues auszuprobieren – das spüren wir bei Michele und bei dem, was er macht.
Eigentlich muss man nicht lange darüber nachdenken, was den berühmten Carbon-Footprint ausmacht. Da ist erst einmal die Energie, die man für ein Weingut benötigt. Was macht man neben Photovoltaik und Sparmaßnahmen? Man kann zum Beispiel kleine Glasprismen auf das Dach des Weinguts setzen und daran Röhren mit einer besonderen Spiegelfolie anbringen, die das Licht in den Keller leiten, und schon braucht man dort keine künstliche Beleuchtung mehr. Klappe auf, Klappe zu, und das Sonnenlicht strahlt in die Dunkelheit. „Das Besondere ist, dass man so echtes Tageslicht nutzen kann. Das Gefühl, am Ziehen der Wolken, an Sonnenauf- und -untergang teilzuhaben, ist auch gut für das Wohlbefinden, wenn man länger im Keller ist.“ Das Licht verändert sich ständig, ständig. Morgens herrscht eine ganz andere Stimmung als abends, und alles können wir auch im Keller miterleben. „Wir sind energetisch autark“, sagt er, als wäre das ein Kinderstreich.
Noch bevor viele Studien in den letzten Jahren dies belegt haben, kam Michele dahinter, dass der Transport den größten Posten auf der rechnung darstellt. Wein selbst kann man schlecht konzentrieren und leichter machen, aber bei den Flaschen geht das. Also eine leichtere Flasche entwerfen. „Wir haben das als Projekt mit der Uni Mailand gestartet. Sie sollte leicht und trotzdem möglichst stabil und bruchfest sein. Das Aussehen war erst einmal zweitrangig, aber ich finde, es ist auch ganz gut geworden“, erzählt er. „Doch am meisten verwundert hat mich, als ich ein altes Gemälde aus der Renaissance mit einer Weinflasche darauf sah, die unserer jetzigen ziemlich ähnlich war.“ Natürlich wurden auch die Kartons umgestaltet. Heute sind sie dünner und trotzdem stabil.
Und dann das Thema Wasser, denn wer Wein machen will, benötigt erstaunlich viel sauberes Wasser. „Dass es viel schwieriger sein würde, wasser- als energieautark zu werden, hätte ich nicht gedacht.“ Aber auch das hat er hinbekommen. Im immer trockener werdenden Italien ein sehr wichtiger Schritt. „Wir recyceln alles, inklusive unserer Wasch- und Spülmaschine, versteht sich“, ergänzt er grinsend. „Holzfässer“, sagt er, „wo kommen die her, wie wird der Wald bewirtschaftet?“ Klar, dass er sich als einer der Ersten darum bemüht hat, dass auch die Fasshersteller nachhaltig erwirtschaftetes Holz verwenden und das auch entsprechend dokumentieren. Der Komposthaufen wird bei ihm zu einer philosophischen und biologischen Erörterung und gehört zum Nachhaltigkeitskreislauf selbstverständlich dazu. „Biodiversität ...“ Wir wissen, was er meint. Weinbau ist Natur, denken wir, aber er ist gezähmte Natur und oft ist er auch die völlige Abwesenheit von Natur außer der Vitis vinifera, der Weinrebe. Also hat Michele untersuchen lassen, wie sich die Natur um ihn herum durch seine Art zu wirtschaften verändert. Er hat Pflanzen gezählt, die viele für Unkraut halten, Insekten gesammelt und die Mikroorganismen im Boden untersuchen lassen. „Das war das Erstaunlichste“, erzählt er. „In einem Gramm gesundem Boden findet man bis zu einer Milliarde Mikroorganismen, mehrere tausend verschiedene Arten – Bakterien, Pilze, Protozoen, Nematoden. Ich sage euch jetzt mal nicht, wie viele davon die jahrzehntelange Behandlung mit Herbiziden, Fungiziden oder Stickstoffdünger überleben. Dabei sind sie alle wichtig für ein gutes Gleichgewicht und dafür, dass sich die Pflanzen gut entwickeln. In einer Monokultur, wie Wein eine ist, muss man sie besonders pflegen.“ Wir glauben Michele sofort, dass er mit jeder einzelnen Protozoe auf seinem Weingut per du ist. Irgendwo haben wir gelesen, dass Michele das erste Weingut weltweit betreibt, das den CO2-Fußabdruck einer einzelnen Flasche Wein errechnet und zertifiziert hat.
Er lacht: „Ja, wir kennen alle die blumigen Geschichten, das ‚Marketing-Sprech‘, das es auch im Weinbau gibt. Wenn man etwas macht, muss man es messen“, da kommt der ehemalige Steueranwalt durch, „und dem Kunden auch zeigen, dass man es ernst meint und dass es kontrolliert wird. Sonst kann ich schließlich erzählen, was ich will …“
Hatten wir schon erwähnt, dass die berühmte deutsche Mülltrennung gegen Micheles Ansprüche wie ein schlechter Witz erscheint? „Bei allem, was wir hier auf Salcheto verwenden, können wir eine Recyclingquote von 98 Prozent garantieren.“ Wahrscheinlich tüftelt er intensiv an den letzten zwei Prozent. „Wir machen das auch für die Menschen, die nach uns kommen“, ergänzt er nachdenklich. „Aber wir müssen ebenso an die Menschen denken, die jetzt um uns herum sind. Das gehört für mich zum Begriff „Sustainability“ unbedingt dazu.“ Wohl wahr, gerade in der Landwirtschaft, zu der auch der Weinbau gehört, bedingen die niedrigen Preise, die der Konsument erwartet, auch einen enormen Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen. Glückliche Menschen pflücken perfekte Trauben für großartige Weine? „Ja, nicht immer“, meint er dazu. Auch eine angemessene Bezahlung zählt zu seinen Nachhaltigkeitskriterien. Und weil er von dem, was er macht, überzeugt ist, hat er bei einem Verein mitgewirkt, der Weingüter zertifiziert und ihnen dabei hilft, zumindest ein bisschen so zu werden wie Salcheto. Dieser trägt den Namen: „Equalitas“.
Unser letzter Besuch auf Salcheto war voll mit Informationen und sie schienen kein Ende zu nehmen. „Unser kulturelles Erbe“, erzählt Michele weiter, „könnt ihr oben in Montepulciano sehen. Die mittelalterliche Stadt, die Europäische Akademie für Musik und darstellende Kunst im alten Palazzo Ricci, all das gehört zu unserem kulturellen Erbe, aber ihr findet es auch auf unseren Tellern …“ Endlich wird es kulinarisch. Als Lob dieses Erbes und zu seiner Ehrerbietung hat Michele eine kleine Osteria auf Salcheto eingerichtet: „Indigeno“ heißt sie und trägt den Untertitel „Cucina Terrestre“. Damit ist eigentlich fast alles gesagt. Natürlich bäckt man das Brot selbst und das Mehl dafür kommt vom Nachbarn, die meisten Gemüsearten wachsen im eigenen Garten und alles andere kommt von Bauern, die man gut kennt und die genauso arbeiten wie man selbst. Sogar die Trüffel sind absolut regional, die sammeln nämlich die beiden Brüder, die direkt oberhalb von Salcheto ein Weingut haben, auf ihrem und Micheles Grund. Daraus entsteht keine Schickimicki-Küche, sondern Landküche in ihrer perfekten Form. So traumhaft, dass wir immer noch nicht über die dazu sensationell gut passenden Weine gesprochen haben, aber das folgt jetzt hier …