Kurek – Jugend und Struktur

Ich steige aus der Bummelbahn und stehe direkt im Wingert beziehungsweise der „Weinhalde“, wie es hier heißt. Damit wäre schon mal eine Sorge aus dem Weg geräumt. Die bisherige Strecke der Bahn am Bodensee entlang ließ nämlich kaum auf eine Weinregion schließen. Es gab jede Menge Obstbäume, im Hinterland sogar Hopfen. Eins der ersten Anzeichen des Weins war dieses kleine Feld voller Reben direkt am Bahnhof.

Fast das ganze 20. Jahrhundert über, sagt Jonas Kurek, der mich am Bahnhof eingesammelt hat, habe der Obstbau in der Region Vorrang gehabt. Zwar hat Wein eine jahrhundertealte Tradition am Bodensee, aber erst seit etwa 20 Jahren nimmt seine Bedeutung wieder zu. Dabei sind es vor allem die Winzerinnen und Winzer aus seiner Generation, die den Bodensee wieder aus der Vergessenheit zurück auf die Weinkarten und in die Weinkeller der Republik bringen könnten. Jonas Kurek zum Beispiel ist hervorragend ausgebildet, hat bei Hubers (er hat Vater und Sohn erlebt) und beim Weingut Fürst in Franken gelernt, anschließend noch in Geisenheim studiert. Er weiß exakt, welche Weine er machen möchte und wie er dort hinkommt. „Wir haben hier eine ganze Menge Betriebe, jeder nur mit ein paar Hektar, aber da ist immer ein Weinbauingenieur oder ein studierter Önologe oder jemand in der Art dabei. Kann man sich gar nicht vorstellen, wie viel Know-how hier auf engstem Raum sitzt.“ Er schaut mich an und macht einen seiner trockenen Witze: „Da können sie in Baden nur von träumen!“

Jonas Kurek ist insgesamt ein wahnsinnig offener, freundlicher Typ, der gern erzählt, mich ganz unverstellt in seine Pläne einweiht und der auch zugibt, wenn mal etwas nicht funktioniert hat. Wie zum Beispiel der Start in die eigenen Weine. Sein Vater und Großvater haben zwar neben Äpfeln (von denen Jonas Kurek immer noch einige Felder hat) auch Trauben angebaut, aber nie selbst Wein gemacht.

„Eigentlich sollte es ganz langsam losgehen. Wir hatten uns das so gedacht, dass ein Teil der Ernte weiter in die Genossenschaft geht und ich nur mit einigen Weinen anfange.“ Allerdings gab es darüber Streit mit der Genossenschaft, die nicht auf die guten Trauben der Kureks verzichten wollte. „Um Druck aufzubauen, hat man uns einfach fristlos gekündigt“ – Grinsen – „Tja, dann habe ich eben doch die Weine alle sofort selbst gemacht.“ Anfangs musste er viel improvisieren, weil Jonas Kurek auch noch einen Job als Kellermeister im Nachbarort hatte. Er hat in der Nacht bei sich gearbeitet und morgens ist er zum anderen Weingut gefahren, zum Glück nur zwei Mal pro Woche. Und wenn doch etwas gemacht werden musste? „Dann habe ich meinem Bruder Zettel geschrieben, auf denen genau draufstand, was er tun muss.“ Dabei wusste der nichts über das Weinmachen, sondern war nur ausführendes Organ. Geschadet hat es den Weinen nicht, immerhin hat das Weingut von Beginn an Auszeichnungen bekommen. 2022 war Jonas Kurek sogar die Entdeckung des Jahres im Eichelmann Weinführer. „Und ich hatte gedacht, dass die Weine erstmal nur hier im Umkreis von ein paar Leuten aus den Dörfern getrunken werden …“ Pustekuchen. Es scheint, als würde ihn das Schicksal dazu zwingen, nicht allzu bescheiden zu sein.

Kurek

Trotzdem, viel lieber als über sich und seine Karriere spricht Jonas Kurek über seine Weine. Und das macht er mit einer Klarheit, wie man sie selten bei Winzern erlebt. Hier gibt es keinen Hokuspokus um Terroir oder Weinstile, Jonas Kurek benennt die Dinge deutlich, fast schon wissenschaftlich. Zum Beispiel ist er in der Lage, seinen Stil und seine Vorstellungen von Wein ganz genau zu beschreiben. Seinen Weinen, egal ob rot oder weiß, mit Holzausbau oder aus dem Edelstahl-Tank sei eins gemein: „Ich achte am meisten auf die Säure. Die muss sich von ganz vorn bis ganz hinten am Gaumen durchziehen, präzise soll sie sein und ein Gerüst bilden.“ Daran, so erklärt er weiter, hängen sich dann je nach Rebsorte und Wein die verschiedenen Aromen auf. „Das ist dann beim Muskateller dieses Blumige, und beim Spätburgunder sind es Tannine und Kirschfrucht, beim Chardonnay kommt dann vielleicht eher eine Mineralik … Aber das Wichtigste, Strukturgebende ist die Säure.“ Um diese Vision auch umzusetzen, kommt ihm sein Anbaugebiet entgegen.

Am Bodensee gibt es viel Niederschlag. Starkregen und Hagel sind eher die Regel als die Ausnahme. Die Böden sind kiesig und sandig und leiten das Wasser schnell ab. „Trotzdem sind hier die Reben eher über- als unterversorgt.“ Die Lösung dafür ist bei ihm und auch den meisten seiner Nachbarn, die Begrünung zwischen den Rebzeilen auf ein selten gesehenes Maß zu steigern. Jonas Kureks Weingärte erinnern an wilde Wiesen, auf die jemand ein paar Rebzeilen gestellt hat. Ein Kollege ziehe sogar Kartoffeln zwischen den Reben – „Woanders packen die sich an den Kopf, wenn sie das hören.“ Die Konkurrenz um Nährstoffe im Boden sei aber immens wichtig, damit die Reben nicht zu viele Trauben produzieren. Trotzdem muss er im Sommer meist noch einige herausschneiden. Die Fruchtbarkeit ist die eine Seite der Medaille, die andere bilden die Höhenlage und der tiefe See, die gemeinsam dafür sorgen, dass der Bayerische Bodensee ein kühles Anbaugebiet ist. Diese Kühle rettet die Weine in warmen Jahren und gibt Jonas Kurek die Säure, mit der er arbeiten will. Am Ende ist der See also der Grund dafür, dass hier diese interessanten Weine entstehen können. „Hier gelten andere Regeln. In mancher Hinsicht mache ich das Gegenteil von dem, was ich gelernt habe.“ Er wirkt so versiert, als hätte er nie etwas anderes getan.

Konsequent ist der Winzer auch bei der Verwirklichung anderer Träume. Manifeste Wirklichkeit geworden ist das in seiner neuen Weinbar, dem Pi oder „π“. Als runder, schwarzer Turm direkt am Weingut ist das Gebäude im Ortsbild sowohl Blickfang als auch Irritation. „Wir wollten damit an ein Fass erinnern, daher auch das verbrannte Holz für die Fassade, als Toasting“, meint Jonas Kurek stolz. Innen findet sich ein Verkaufsraum im Erdgeschoss, oben eine Terrasse für Privatverkostungen und als Herzstück im ersten Stock eine Weinbar, wo er sich seinen Traum verwirklicht hat, es „richtig“ zu machen. seine eigenen Weine, aber unter anderem auch welche aus dem Burgund und von deutschen Kollegen, die er bewundert. Dazu wird nur das Beste gereicht, beginnend bei Produkten von den Butter Boyz – „die sind kürzlich prämiert worden für die beste Butter Deutschlands!“ – über den legendären Käse der Affineure von Jamei Laibspeis bis hin zum selbst gemachten Tartar. Man ist verwundert, dass in einem kleinen Ort wie Nonnenhorn mit seinen rund 1800 Einwohnern so ein Genusstempel funktioniert. „Na, das ist nicht in erster Linie für die Nonnenhorner, obwohl die auch kommen. Aber in der Saison fahren hier direkt vor der Tür täglich um die 2500 Radfahrer vorbei, aus München, Stuttgart und von überallher. Der Bodensee zieht!“ Jetzt verstehe ich auch, warum man hier im Ort die Straußwirtschaften als „Rädler“ bezeichnet.

Mir sind der zielstrebige Jonas Kurek und Nonnenhorn als gallisches Dorf des Qualitätsweins inmitten von Apfelplantagen sehr sympathisch. Trotzdem zieht es mich weiter am Rhein entlang. Hier am Bodensee verbirgt er sich, aber man spürt jede Schwankung des Wasserstands in Nonnenhorn am „Paradies“ genannten Badestrand bei uns in Köln nach wenigen Tagen. Zeit, dem Wasser hinterherzuziehen, um dem Wein nachzuspüren. ms

 

 

ZU DEN WEINEN

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