Franz Keller - on the shoulders of giants
Der Kaiserstuhl thront allein in der Rheinischen Ebene. Egal von welcher Seite man sich nähert, der vor etwa 14 Millionen Jahren erloschene Vulkan steht imposant da. Deutlich abgegrenzt vom umgebenden Flachland macht er schon von weitem Eindruck. Fährt man aber in die Täler hinein, ist es sofort anheimelnd. Steile Hänge zu beiden Seiten der Straße, meist mit Terrassen, auf denen Wein wächst, und darüber eine sanft gewölbte Wiese mit Bäumen obenauf. Es wirkt beinahe verwunschen hier und etwas aus der Zeit gefallen.
Es geht tief hinein, bis man, fast in der Mitte, Oberbergen in einem engen Tal erreicht. Dies ist dann wohl der Vulkankrater. Kurz bevor man im Ort selbst ist, liegt das Weingut Franz Keller etwas abseits, oberhalb der Straße. „Der Friedrich ist gerade in den Reben, aber er kommt gleich.“ Oliver Haag aus dem Vertrieb führt mich durch das Weingutsgebäude, das noch unter der Ägide von Vater Fritz in den Hang hineingebaut wurde. Hier ist alles sehr modern und gewissermaßen ein Statement. Das Gebäude scheint zu sagen, man wolle mithalten am Kaiserstuhl mit Bordeaux, Spanien und Südafrika, wo moderne Architektur selbstverständlich zum Wein gehört. Es gibt viel Sichtbeton, offene, großzügige Arbeitsbereiche und Durchblicke nach außen auf den Talkessel von Oberbergen. Alles wirkt luftig, etwas kühl und vor allem großzügig. Fritz Keller hat das Weingut auf Wachstum hin konzipiert.
„Für mich hätte eine Nummer kleiner auch gereicht“, gibt Friedrich Keller zu, als er dann eintrifft und mich direkt mitnimmt in den Weinberg. Tatsächlich ist bei Kellers gerade eine Phase eingetreten, wie sie bei vielen namhaften Weingütern derzeit stattfindet. Die junge Generation talentierter Winzer versucht nicht mehr, wie ihre Eltern, den Mittelweg zwischen Qualität und Quantität zu finden. Friedrich Keller sagt: „Ich möchte noch weiter schrumpfen. Am liebsten will ich das Weingut so klein haben, dass ich jede Entscheidung auch selber fällen kann, dass ich immer dabei bin“, argumentiert er. Sobald wir im Weinberg stehen und aus dem Geländewagen gestiegen sind, wird noch klarer, wie er das meint. Nämlich nicht im Sinne eines Managers, der alles kontrollieren will oder der Richtlinien vorgibt, sondern sehr handfest. Beim ersten Schritt in die Reben hinein zieht es den Winzer sofort zu den Pflanzen. Er bricht hier einen Trieb aus, begutachtet und steckt dort die Triebe in die beweglichen Drähte des Spaliers. Es ist die tiefe Zuneigung zu den Rebstöcken in seinem Weinberg, die ihn antreibt. „Es ist eine Illusion, dass man beim Wein die volle Kontrolle haben kann. Ich versuche tatsächlich eher, flexibel zu bleiben und mich selbst auch mal zurückzunehmen. Wenn der Winzer mit sich im Reinen ist, dann merkt man das schließlich auch den Weinen an.
Entscheidungen selbst fällen einerseits, zurücknehmen andererseits – wie passt das zusammen? Friedrich Keller sieht da keinen Widerspruch. Nur dadurch, dass er nah am Wein dran ist und jede Entscheidung von ihm selbst getroffen wird, kann er sich voll im Wein einbringen. Seit 2016 ist er im Weingut, das war sein erster Jahrgang. Und er hat mit der Zeit gelernt, dass er zwar den Wein begleiten kann, aber nicht so sehr beeinflussen, wie man sich das vielleicht ausmalt. „Zum Beispiel muss man begreifen, wo man hier ist. Die Lagen um uns herum, die ganze Landschaft – das ist alles Vulkan, das beeinflusst den Wein und alle Entscheidungen im Weinberg.“ Das meint Friedrich Keller, wenn er sagt, dass er sich auch mal zurücknehmen muss. Die Bedingungen annehmen, die ihm der Kaiserstuhl stellt.
Mittlerweile sind wir im Steinriesen ausgestiegen, das ist eine GG-Lage direkt gegenüber vom Weingut. Hier gibt es vor allem steile Terrassen. Auf den ersten Blick gar nicht so anders als andere Weinberge in der Umgebung, aber die einzigartige Beschaffenheit liegt im Detail: „Wir haben hier eine Ausrichtung nach Westen und ein bisschen auch nach Süden.“ Während er das sagt, deutet mein Gesprächspartner in die Richtung, wo der Ort liegt und sich dahinter das Tal geradewegs auf die Rheinebene öffnet. Etwas nach rechts kann man die Vogesen erahnen, aber direkt geradeaus sind keine Berge zu sehen. Genau dort zeigt er hin: „Das ist die Burgundische Pforte. Von da strömt das Wetter hier auf den Berg zu und trägt die teilweise tiefen Lößablagerungen des Kaiserstuhls ab.“ Die besten Lagen hier am Kaiserstuhl seien alle von diesem direkten Einfluss der Winde aus der Burgundischen Pforte geprägt, weswegen sie die besseren, weil steinigeren Böden hätten. Wobei man sich über das „besser“ abends an Oberbergener Theken sicherlich streitet. Es gibt neben Friedrich Keller nämlich nicht allzu viele, die das auch so sehen. Ein Grund, warum es ihm leichtfällt, immer mehr Parzellen in besten Lagen zu bekommen. „Das ist schwer zu bewirtschaften“, sagt er. Wenn die Weinberge in Handarbeit gepflegt werden müssen, scheuen viele Winzer davor zurück. „Dafür kann es vielfältige Gründe geben. Vielleicht ist jemand zu alt oder kann es sich ganz einfach finanziell nicht leisten. Ich finde, man muss da Verständnis haben. Trotzdem nehme ich die Weinberge gern.“ Sprichts und grinst dabei ...
Das Streben nach einem kleineren Weingut, das die Qualität noch weiter auf die Spitze treibt, ist in allen Weinen von Friedrich Keller zu spüren. Selbst der Gutswein-Spätburgunder „vom Löß“, der nicht von den steinigen Lagen stammt, wird in immer geringeren Mengen produziert und von Jahr zu Jahr edler und anspruchsvoller. „Ich bin kein geborener Verkäufer, so wie mein Vater, deswegen versuche ich stattdessen, einfach Weine zu machen, die sich von selbst verkaufen.“ Für ihn ist klar, das geht nur über Qualität. Marketing und charmant geführte Verkostungen sind für ihn zweitrangig. Man ahnt, „Friedrich ist gerade in den Reben“ ist ein Satz, den man am Weingut öfter zu hören bekommt. Zum Abschluss meines Besuchs sitzen Friedrich und ich auf einer Bank am Weingut in der Abendsonne und erfrischen uns mit einem Gläschen. Vater Fritz Keller bemerke häufig, dass Wein ein Generationenprojekt sei, sagt sein Sohn. Erst die Nachkommen ernten, was man selbt pflanzt. Und wie empfindet Friedrich das? „Ich muss meinem Vater unheimlich dankbar sein. Er und seine Generation haben einen Weg gebahnt, auf dem ich vorangehen kann. Ich könnte heute nicht so konsequent auf Qualität setzen, wenn er nicht vorgelegt hätte mit Weinbergen, Pflanzungen und diesem Gutsgebäude.“ Ich muss an Isaac Newton denken und seinen Ausspruch, dass er weiter blicken konnte als andere, weil er auf den Schultern von Riesen stand: „Standing on the shoulders of giants“. in der Metapher ursprünglich die Rede davon, dass Zwerge auf den Schultern von Riesen stünden. Und das wird nun wieder Friedrich alles andere als gerecht. Er wirkt, in sich ruhend und im Reinen mit dem Wein und seinem Tun, eher selbst wie ein Riese.
Der Wein aus der fast schon legendären 1er Cru-Lage rund um Oberbergen. Von hier kamen aus dem Keller von Friedrich Kellers Großvater Franz die ersten badischen Weine mit Burgunder-Anspruch. Jetzt gibt es auch einen Bassgeige Chardonnay. Im klassischen Cool-Climate-Jahr 2021 ist daraus ein Wein mit viel Anspruch und tollem Reifepotential geworden – nicht nur, aber vor allem für Burgunder-Fans. Kristallklar kommt er daher, mit feiner, herrlich lebendiger Säure. Im Abgang dann trotzdem ein guter Schmelz und erstaunlich körperreich. Die Mischung aus Vulkanboden und Löß gibt ihm sowohl extravagante Spannung als auch eine gewisse Entspanntheit. Ein Wein zum sofort Trinken oder zum Einlagern, denn in den nächsten fünf Jahren dürfte er sich herrlich weiterentwickeln.
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