Eppelmann – Côte de Selz
Rheinhessen ist für viele Weinfreunde immer noch Terra incognita. Es gibt da irgendwo den Rhein – vom Roten Hang hat man vielleicht schon einmal gehört, aber ansonsten? Entlang der A 61 ein paar Hügel mit vielen Reben und bei Alzey ist immer Stau. Hier gibt es einige der bekanntesten und besten Weingüter Deutschlands, aber bei uns im Weinkeller hören wir trotzdem oft: „Ich hätte gerne einen Wein von der Mosel, aus dem Rheingau oder aus Baden ...“ Aber Rheinhessen? Da fragen die Weintrinker eher direkt nach dem Weingut. Schade, denn wenn es irgendwo in Deutschland noch was zu entdecken gibt, dann hier.
So sind wir an einem schönen Frühsommertag nach Stadecken-Elsheim aufgebrochen. Selz oder Selztal, was mag das sein? Wikipedia fasst zusammen: ein Nebenfluss des Rheins, etwa 61 km lang, er entspringt am Donnersberg, 240 m Höhenunterschied von der Quelle bis zur Mündung, fließt bei Frei-Weinheim in den Rhein. Christian Eppelmann kann das besser erklären, er spricht sachlich und begeistert zugleich: „Das ist der eher kühlere Part von Rheinhessen, und hier bei Stadecken-Elsheim ist vielleicht der für den Weinbau interessanteste Teil der Selz. Denn hier ändert sie die Richtung und auch die Faltung der Gesteinsschichten ist eine andere ...“
Stadecken ... what? Die Zusammenlegung von Ortschaften führt leider zu Namen, die verkaufstechnisch ein Super-GAU sind. Die Geschwister Eppelmann lachen heftig, als ich das sage. „Nicht nur da ...“, meint Christian, „das waren früher zwei Orte und die hatten nichts miteinander zu tun. Die waren nicht nur durch die Selz getrennt, Stadecken war auch noch evangelisch und Elsheim katholisch.“ „Unsere Urgroßeltern“, meint Corinna, „waren vielleicht die ersten Eheleute aus beiden Orten. Kurz vor dem Krieg war das ein Skandal. Aber der Uropa hat die Uroma, kurz bevor er in den Krieg gezogen ist, doch heiraten können.“ Das ist auch der Grund, warum es bei Eppelmanns Weinberge auf beiden Seiten der Selz gibt. Rive Gauche und Rive Droite – immer noch eine Seltenheit. „Da wurde sogar während der Ehe verhandelt, wie Kinder und Enkel getauft werden. Unsere Uroma wollte ja keine Katholiken auf dem Hof haben …“, ergänzt Corinna Eppelmann und scheint erschrocken darüber, dass das noch gar nicht so lange her ist. „Das Weingut selbst, direkt neben der evangelischen Kirche von Stadecken, hat der Uropa 1954 gekauft, nachdem er aus dem Krieg heimgekehrt war.“ Die Lage ist einmalig, man fährt in den alten Ortskern und vom großen, höhergelegenen Hof des Gutes hat man einen sensationellen Blick rüber nach Elsheim und auf die Blume, eine Top-Lage der Region. Simone, die Mutter von Corinna und Christian, begrüßt uns überschwänglich. Sie ist begeistert, dass sich die Qualität der Weine mittlerweile herumgesprochen hat. „Dem Timo“, ihrem Mann, „tut das total leid, dass er heute nicht dabei sein kann, aber er hat eine Weinprobe mit privaten Kunden, die ist jedes Jahr an diesem Termin.“ Sie erzählt, dass Timos Opa, als er 54 mit dem Weingut anfing, zunächst nur an Privatkunden verkaufte. „Das waren erst einmal Kriegskameraden in ganz Deutschland, die hat er alle direkt beliefert.“ Wie bei vielen Winzern in Rheinhessen ist das erstmal so geblieben. Viele Rebsorten für jeden Geschmack, die man am besten mit einer schönen Verkostung direkt zum Kunden bringt. Wenn ich mir vorstelle, wie sich damals noch die Durchschnittspreise darstellten, wächst meine Hochachtung vor den Winzern immer weiter. Was für eine Arbeit! Timo ist jetzt irgendwo in Norddeutschland und präsentiert alten Kunden bei einer Verkostung das neue Eppelmann-Konzept. Wein möchte eben auch vermittelt werden ...
Das neue Eppelmann-Konzept gibt es seit 2020. „Als klar war, dass die Kinder weitermachen“, erzählt Simone, „haben wir uns zusammengesetzt und überlegt, wie wir das machen wollen.“ Und dann ging es Schlag auf Schlag. Der erste Schritt war die Umstellung auf bio im Juli 2018 und 2019 ging es dann an das Sortiment. Man hat zwar noch immer einige Rebsorten, aber der Schritt hin zu Burgunder-Reben und Riesling war beschlossen. Der Neuorientierung bei Stilistik und dem Ausbau folgte und dann noch das umfassende Corporate Design. Wir schauen uns alte Etiketten an, hören zu, wie das alte Sortiment aussah, und können uns die Frage nicht verkneifen: „Wie war das denn für Timo und dich? Ihr habt das doch hier viele Jahre auch gut gemacht und jetzt kommt jemand und macht alles anders.“ Simone muss nicht einmal so tun, als habe sie die etwas ungehörige Frage nicht richtig verstanden: „Wieso? Es war super! Vorher war es gut und jetzt ist es halt anders. Junge Leute müssen das auch anders machen …“ Ihr Sohn erklärt fortführend: „Dabei hat uns Corona geholfen. Corinna und ich waren eigentlich im Studium, aber plötzlich waren wir zuhause im Home-Studium.“ Simone erläutert: „Wir hatten dann Zeit genug, alles abzusprechen, und konnten Pläne schmieden. Dass in so kurzer Zeit so viel daraus geworden ist, hätten wir wahrscheinlich selbst nicht gedacht.“ „Wir haben aber auch von der Erfahrung der Eltern profitiert“, betont Corinna und Christian ergänzt: „Der Papa hatte ja schon den ein oder anderen Jahrgang reingebracht; dass er bei allem so mitmacht, ist für uns einfach sensationell.“ Ob es immer gewiss war, dass die beiden Winzer werden wollen, fragen wir. „Also der Opa wollte immer, dass ich Fußballer werde“, antwortet Christian Eppelmann, „aber ich wollte schon im Kindergartenalter lieber mit dem Papa in die Reben, und zu meinem sechsten Geburtstag sind wir dann tatsächlich zu unserem Rebveredler gefahren und ich habe meine ersten Rebstöcke geschenkt bekommen.“ Auch Corinna Eppelmann kann sich nicht erinnern, mal was anderes im Sinn gehabt zu haben. Die Aufgaben haben die beiden übrigens perfekt aufgeteilt. Zunächst hatten beide eine Weinbauausbildung absolviert. Beide bei Top-Winzern, beide in Bio-Betrieben. Corinna hat anschließend auch noch Internationales Weinbusiness studiert und Christian Weinbau, „aber nur ein Semester, dann kam Corona und irgendwie war mir das zu wissenschaftlich … ich mache jetzt lieber meinen Meister“, und Corinna hängt noch ein Studium für Publizistik und audiovisuelle Kommunikation hintendran. Hier wird an Wissen nicht gespart.
Wir fahren in die Weinberge Lenchen und Spitzerberg auf der Rive Gauche. Ein hübscher langgezogener Hügel mit herrlichem Blick auf die „Côte de Selz“, wie ich sie jetzt schon nenne. „Hier ist erst vor kurzem flurbereinigt worden“, erzählt uns Christian Eppelmann, „und für uns war es gut, dass die meisten Winzer die Weinberge oben auf dem Plateau haben wollten. Höherer Ertrag und besser mit dem Vollernter zu bewirtschaften. Hier, wo es steil runtergeht, wollte kaum einer etwas haben. Wir haben’s gerne genommen …“ Er zeigt uns Chardonnay, den er vor ein paar Jahren gepflanzt hat und erklärt uns, wie sich die Begrünung und die Pflege der Laubwand auf pH-Wert und Extrakt auswirken und was das für den späteren Ausbau und die Reifung des fertigen Weines bedeutet. Die Zusammenhänge sind sehr komplex und selbst ein Lebensmittelchemiker könnte nur schwer folgen. Hatte er nicht eben noch gesagt, das Studium sei ihm zu wissenschaftlich gewesen?
Von unserer Listungsverkostung habe ich die Weine noch auf der Zunge. Waren das wirklich alles Weine von jungen Reben und von einem so jungen Winzerteam? Erstaunlich! Corinna Eppelmann erklärt: „Wir haben auch älteres Rebmaterial, und zwar gar nicht so schlechtes, aber gerade beim Chardonnay haben wir doch einiges gepflanzt, und da kommt auch sicherlich noch mehr Neues dazu.“ Nach der 200-Prozent-Barrique-Phase Mitte der 80er Jahre und dem folgenden „Anything but Chardonnay“ hat man in Deutschland offensichtlich erkannt, welches Potential die Rebsorte auf den richtigen Böden hat. „Kein Wunder“, sagt Christian, „im Vergleich zum Burgund sind wir jetzt die Cool-Climate-Region. Drüben in der Blume, unserer Top-Parzelle, haben wir reinen Kalk, besser geht es ja gar nicht.“ Wir gehen in den Keller und verkosten Pinot noir aus verschiedenen Lagen und Parzellen. Erstaunlich, wie unterschiedlich und druckvoll die Weine sind und wie frisch und vielschichtig so manches Fass daherkommt. Dagegen war die ein oder andere Verkostung an der Côte d’Or in den letzten Jahren weniger befriedigend gewesen. „Wir lernen noch viel“, hebt Christian wieder an und erzählt über verschiedene Klone, Bodentypen und pH-Werte. Nach dem langen Tag sind wir aber etwas müde und daher froh, als Simone uns zum Essen ruft. Wir sitzen zusammen auf der Terrasse und probieren zu leckeren italienischen Antipasti alle drei Jahrgänge Bockstein, die es bisher gibt. Ein anspruchsvoller Wein, aber eben auch ein echter Pinot. Man ist natürlich versucht, ihn mit dem Burgund zu vergleichen. Clos de la Roche? Échezeaux? Er ist allerdings so eigenständig, dass man ihn nicht vergleichen sollte. Und wenn das viele Leute tun würden, wäre er vielleicht schon längst vergriffen.
Am nächsten Morgen packe ich kurz vor Sonnenaufgang meine Laufschuhe aus, mich treibt es in den Wingert. In einem kleinen Waldstück am Lenchen steht plötzlich ein Reh vor mir, oben auf der Höhe vertreibe ich einige fette Hasen, die an den Reben knuspern wollen, und im Spitzerberg trete ich fast auf ein paar Fasane, die nicht schnell genug wegrennen. Hinter dem Odenwald, östlich des Rheins, geht die Sonne auf und aus dem Grün des Elztals steigt Nebel auf. Stadecken-Elsheim klingt nicht so glamourös wie Vosne-Romanée, aber schöner ist es dort sicher nicht. Ab
ZU DEN WEINEN