Ein Bild mit roten Trauben, die noch am Stamm hängen, darüber steht die Schrift: die große Chianti Verwirrung

Die große Chianti-Verwirrung

Was waren das noch für Zeiten, als man über den Chianti unbeschwert singen konnte: „der lädt uns alle ein.“ Damals ein Wein für fröhliche Zecher, die sich zuprosteten, um ein italienisches Lebensgefühl zu feiern. Zu diesem Lebensgefühl gehörte ein kulinarisches Konzept von Einfachheit, Raffinesse und Genuss, dass alle Menschen weltweit – zumindest bei der gemeinsamen Mahlzeit – zu begeisterten Italienern machte.

Und heute: Italienische Gastronomieketten erobern die Welt. Die Pizza ist vom Äquator bis zu den Polkappen verfügbar und gastronomisch eingemeindet. Es gibt sie mit Kimchi, Döner, Tacos und sogar in der Clemens-Wilmenrod- Gedenkversion mit Kochschinken und Ananas – Aloha! Wahrscheinlich bewegt sich deshalb auch der Chianti mittlerweile zwischen billigem Massenprodukt und Icon-Wein. Und wie das so ist bei einem auf dieser Breite oszillierenden Produkt: Der Kurs wirkt auf den unbedarften Betrachter etwas schlingernd.

Es gibt viel Chianti. Mehr als eine Million Hektoliter sollen es sein, also gut 133 Millionen. Flaschen in neun Unterregionen. Die größte davon heißt Chianti, dann folgen Chianti Classico, Colli Aretini, Colli Fiorentini, Colli Senesi, Colline Pisane, Montalbano, Montespertoli und Rùfina. Der durchschnittliche Weinfreund ist mit der Unterscheidung zwischen Chianti und Classico schon überfordert und hält das für eine Bezeichnung wie „Crianza“ und nicht für die Herkunft. Die Aufteilung der anderen Regionen erschließt sich wahrscheinlich nur demjenigen, der über die Geschichte der Toskana seit Lorenzo di Medici promoviert hat, und spielt auf dem Markt kaum eine Rolle. Über die Qualität sagt sie sowieso nichts aus. Alles andere scheint so kompliziert zu sein, dass selbst die Website des Consorzio Vino Chianti Classico keine Beschreibungen der einzelnen Qualitätsstufen bietet. „Under construction“ steht dort.

So schwer ist es aber nicht. Eigentlich. Wir konzentrieren uns auf die qualitativ wichtigste Region, das „Classico“. Da gibt es einmal den normalen „Annata“, also einen Jahrgangswein, der ein Jahr lang reifen muss, bevor er in den Verkauf kommt. Dann gibt es die „Riserva“. Hier nimmt man – ähnlich wie in der Rioja – an, dass Winzer für Weine, die länger reifen, die besseren Qualitäten nehmen. Stimmt, meistens. Die Riserva kommt nach zwei Jahren auf den Markt.

Seit 2014 gibt es die Kategorie „Chianti Classico Riserva Gran Selezione“. Diese soll die Spitze der Pyramide darstellen und ist es auch zumeist. Mindestens 30 Monate Reifezeit, alte Rebstöcke und so weiter. Viele Top-Weingüter nutzen die Kategorie, um hier ihre Crus, ihre Einzellagenweine aus den besten Weinbergen, unterzubringen (zum Beispiel Barone Ricasoli). Allerdings ist das nicht offiziell geregelt. Dafür plant man erst einmal die Subzonen, also eine Art Mischung zwischen Region und Village darzustellen, eben auch in der Kategorie „Gran Selezione“. Womit man einen „Chianti Gaiole“ ja mit einer Einzellage wie Colledilla gleichstellen würde. Aber vielleicht schafft man dafür auch eine neue Kategorie, beispielsweise die „Riserva Speciale Fantastico“. In Italien liebt man den Superlativ!

Es ist – wie auch in der Rioja – schwer, die beiden Systeme „Reifezeit als Qualitätsmerkmal“ und „Einzellage als Auszeichnung“ in Einklang zu bringen. Die Idee, dass man immer noch einen obendraufsetzen muss, statt in der Basis für mehr Klarheit zu sorgen, macht das nicht einfacher. Es bleibt abzuwarten, wie das Chianti das lösen wird und ob das Consorzio es irgendwann schafft, das System auf seine Website zu bringen. Andererseits können gerade die Italiener mit Ambiguität und Unklarheit sehr gut leben, jedenfalls solange sie das Kulinarische oder Politische betreffen und nicht das Einzige, bei dem sich die Nation einig ist: den Fußball.

 

 

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