Das Beste kommt zum Schluss
Die Welt der Weine ist in Bewegung. Zur After-Work-Party, dem Grillabend oder zum Brunch passt alles, das britzelt. Der gute Rote geht immer, Weißwein ist ein Selbstläufer – aber was ist mit Dessertweinen? Die Süßlinge bilden eine eigene Gattung. Sie sind das Schlusslicht im Menü, aber Favorit auf der Zunge. Das hat Gründe.
Mit dem Herbst beginnt die Dinner-Saison. Vielleicht auch als kulinarische Maßnahme gegen den Jahreszeiten-Blues belebt Soulfood die Sinne. Und dazu passen als so etwas wie finale Seelentröster süße, vollmundige Weine, Süßwein oder Dessertwein genannt. „Süßweine haben einen besonders hohen Zuckergehalt“, erklärt Jan Oliver Bartmann. „Dieser Restzucker verleiht ihnen einen süßen Geschmack, hebt die Frucht besonders hervor und sorgt für eine milde Säure“, führt der Sommelier aus. Oftmals bieten sie eine breite Palette an Aromen wie Honig, Aprikose, Pfirsich oder exotische Früchte, beschreibt er die Bandbreite der Nuancen. Die Trauben werden sehr reif oder sogar edelfaul gelesen. Diese Trauben enthalten besonders viel Zucker.
Fusion von hart und zart
Süßweine sind so etwas wie der Oberbegriff von Auslese, Beerenauslese, Trockenbeerenauslese oder Eiswein, den in Deutschland typische Bezeichnungen für sie. Sie bieten eine Vielfalt an Aromen und sind sehr weich im Geschmack. Sie passen zu vielen verschiedenen Happen aus der Sparte Käse, Gorgonzola ist ein Paradebeispiel, aber auch die Kombination „süß und süß“, also zu zuckrigen Desserts, harmonisiert fabelhaft – und dann erst die Zusammenstellung mit einem Stück Panettone …. „Außerdem sind Sie sehr langlebig und haben oft eine hohes Reifepotenzial. Sie können über Jahrzehnte gelagert werden“, lautet ein Profi-Tipp für Weinliebhaber.
Epochale Entdeckung
Der Legende nach entstanden die Süßweine im Rheingau, wie Sommelier Niklas Steinert erzählt: Anno 1775 vertrödelte sich ein Kurier des Fürstabts mit der Erlaubnis zur Weinlese. Die musste unbedingt vorliegen, sonst konnten die Kellermeister nicht tätig werden. Weil der besagte reitende Bote aber nicht mit der notwenigen Erlaubnis auftauchte – war er von Räubern gekidnapped worden? War er fröhlich pfeifend auf der Jagd? Es ranken sich ums Fernbleiben verschiedene Geschichten - blieb der Kellermeister des Johannisbergs untätig. Er und seine Leute mussten mit ansehen, wie die Trauben an den Weinstöcken erst von Fäulnis befallen wurden und dann schrumpften. Die Ernte schien vernichtet. Als dann zum guten Schluss der Kurier mit der ersehnten Leseerlaubnis eintraf, wurden die scheinbar verdorbenen Trauben eingeholt. Und siehe da: Der Wein dieser Trauben übertraf die Güte aller bislang bekannten. „Die sogenannte Edelfäule war entdeckt. Quasi zufällig“, führt Niklas Steinert aus. Schloss Johannisberg ist nicht nur wegen dieser Anekdote und seiner Statue „Der Spätlesereiter“ weltberühmt. „Es gilt als ältestes Rieslingsweingut der Welt“, führt der Sommelier über die „Weine von Weltruhm“ aus.
Ein volles Glas zur vollen Stunde
„Die Trockenbeerenlese ist die Königsdisziplin“, aufwendig wird von Hand verlesen, was aus den besten Lagen ausgewählt wurde. „Eine unfassbar aufwendige Arbeit“, wie Niklas Steinert weiß. Vorangegangen ist da besondere Wissen, den perfekten Reifemoment der Traube abzupassen. „Denn es kann schnell passieren, dass wenn nicht der exakte Moment erwischt wurde, der Pilz die ganze Traube befällt und dann war’s das.“ Kein Wunder also, dass Süßweine auch wegen ihres aufwendigen Handlings ihren Preis haben.
Übrigens erschließt sich selbst manchem Weinprofi der Dessertwein nicht auf den ersten Schluck. Bei Sommelier Jan Oliver Bartmann spielte die Liebe die entscheidende Rolle. „Ich liebe meine Frau sehr!“, lautet sein Bekenntnis. „Aber seit nunmehr 14 Jahren versuche ich vergeblich, meiner Liebsten die Welt der trockenen Weine näher zu bringen.“ Mit dem Ergebnis, dass er dafür die Welt der Süßweine umso mehr in sogenannten Selbstversuchen erkundete – und zu schätzen lernte. „Mein Favorit unter den Süßweinen ist Deutscher Riesling, am besten Auslese oder Beerenauslese. Die Säure des Rieslings harmoniert perfekt mit der Süße und sorgt für ein tolles Erlebnis von Reifen Früchten und Honig im Mund.“
Das passende Glas für eine Spätlese ist ein Weißweinglas, als Trinktemperatur empfiehlt Niklas Steinert leicht kühle zehn Grad.
Genialer Erfinder und Namensgeber
Weinfans wissen, das Oechsle ist kein niedliches Rind. Es war ein gewisser Christian Ferdinand Oechle, ebenfalls keine Zuckerschnute, ist Namensgeber der Maßeinheit für das Mostgewicht des Traubenmosts, also des unvergorenen Traubensafts. Der Mann lebte Ende des 18. Jahrhunderts, was Mechaniker, Goldschmied und Erfinder und produzierte Präzisionswaagen. „Wenn man den Zuckergehalt des Mostes messen könnte, müsste es möglich sein, die Entwicklung des auszubauenden Weines besser vorauszusehen“, dachte er. Das führte ab den 1830er Jahren zur Serienherstellung der nach ihm benannten Mostwaagen. Sein Verdienst lag in besonderem Maße darin, dass er eine praktisch anwendbare Gradeinteilung auf den Spindeln einführte und sein Messgerät durch Serienfertigung Winzern zugänglich machte. Auch schön: Weil der Mann nebst Erfindung unvergessen ist, wird in Pforzheim, wo er im März 1852 starb, seit den 1980er Jahren jährlich Ende August bis Anfang September ein mehrtägiges Weinfest, das seinen Namen trägt, gefeiert.
Zurück zur Bedeutung des Begriffs. Oechsle ist eine Maßeinheit zur Bestimmung des Mostgewichts im Rahmen der Weinherstellung. Der Oechsle-Grad sagt etwas über den Anteil der im Most gelösten Stoffe, vor allem zum Zucker. Das lässt sich nach einer chemischen Formel als relative Dichte errechnen. Das Mostgewicht erklärt wie viel schwerer besagter Most im Vergleich zu Wasser ist. Ist ein Liter Most ein Gramm schwerer als der gleiche Liter Wasser, hat er ein Grad Oechsle. Gleichzeitig ist das Mostgewicht Mitbestimmer des möglichen Alkoholgehalts. Auch hier ist Rechenkunst gefragt, ein Most mit 80 Oechsle – dieses ist ein durchschnittlicher Wertebereich – ergibt vollständig vergoren einen Wein mit 84 Gramm reinem Ethanol pro Liter. Das entspricht einem Alkoholgehalt von 10,6 Prozent. In Deutschland gibt es eine offizielle Tabelle, wie sich natürlicher Alkoholgehalt aus dem Oechslegrad ableiten lässt. Was in Deutschland, der Schweiz und Luxemburg das Grad Oechsle ist, heißt in Frankreich und Spanien Grad Baume und in englischsprachigen Ländern nebst Südamerika Grad Brix.
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