Cantine de Falco – Südliche Kraft mit Eleganz
Novoli ist eine jener kleinen Städte im Süden, an denen man normalerweise vorbeifährt. Keine alten Palazzi, keine Museen oder andere touristische Highlights. Es gibt ein paar Kirchen, sogar ein eigenes Theater aus dem 19. Jahrhundert und einen Bahnhof, der leicht überdimensioniert wirkt. Er liegt direkt hinter der großen Halle, die das Weingut De Falco beherbergt. Von den vielen Gleisen sind die meisten zwar lange nicht mehr befahren worden, aber seltsam mutet der Bahnhof schon an.
Gabriele De Falco erzählt: „Das waren hier alles einmal Genossenschaften.“ Dabei zeigt er auf die mehr oder minder verlassenen Hallen in der Via Milano längs des Bahnhofs. Seit den 20er Jahren ging auch im Süden Italiens immer mehr Land in die Hände der Bauern über. Die adeligen Großgrundbesitzer verschwanden allmählich – viele, weil sie bankrott waren. Hatten die Bauern sonst als Pächter gearbeitet, besaßen sie nun eigenes Land. Genug, um zu überleben, aber nicht ausreichend, um mit den Gütern zu handeln und einen Gewinn zu erzielen.
Die erste Bahnlinie in Apulien wurde zwar schon 1866 gebaut, aber sie ging von Lecce nach Zollino, einer Stadt noch weiter im Süden. Die großen Märkte im Norden blieben für Frischwaren also unerreichbar. Aber Wein war haltbar und man konnte ihn in großen Tanks problemlos transportieren, als die ersten Bahnverbindungen über Umwege auch Mailand und Turin erreichten. Und dort dürstete man nach Wein – billigem Wein, denn selbst bei den Fabrikarbeitern gehörte ein Krug Wein zu jedem Mittag- und Abendessen auf den Tisch. Es lag also nahe, dass sich die kleinen Bauern im Süden, wo die Trauben schön reif wurden und kraftvollen, dunklen Wein ergaben, zusammenschlossen und ihn in den Norden schickten. „Als was er dann verkauft wurde, wussten nur die Händler im Norden“, erzählt Gabriele und ergänzt grinsend: „Wahrscheinlich war manch eine Flasche, auf der Barolo oder Chianti stand, zu 100 Prozent aus Manduria.“ Er muss es wissen, wie wir später erfahren sollten.
Nach dem Sturz Mussolinis enteignete Italien den größten Teil der Großgrundbesitzer. Eigentlich sollte jeder, der mehr als 100 Hektar Landbesitz hatte, alles darüber an die kleinen Landarbeiter abtreten. Aus „Braccianti“, den recht- und besitzlosen Landarbeitern, sollten „Campagnoli“ werden, Bauern, die auf ihrem eigenen Land arbeiteten. Aber so richtig wurde nichts daraus, gerade einmal sieben Prozent der landwirtschaftlichen Flächen wurden verteilt. Und selbst das mit mäßigem Erfolg, denn die neuen Besitzer sollten den alten Besitzern und dem Staat über 30 Jahre lang eine Art Entschädigung dafür zahlen. Da die „Braccianti“ zumeist das schlechte Land bekamen und davon nur sechs Hektar, war das fast unmöglich. So folgte kurz nach dem Aufstieg der Genossenschaften auch schon ihr Niedergang.
Ende der 50er Jahre flohen rund drei Millionen Menschen aus dem Süden. Sie gingen in die Industriestädte in der Po-Ebene, nach Deutschland oder in die Schweiz und selbst etwas erfolgreichere Landwirte tauschten ihre Äcker im bergigen Cilento oder dem trockenen Salento gegen aufgegebene Böden in der Lombardei, dem Veneto oder Piemont. Nur Gabrieles Urgroßvater ging den umgekehrten Weg.
1949 kam er aus Novello im Piemont nach Lecce und gründete hier seine eigene Cantina. Weinbau von Anfang an, und er versuchte auch direkt, alles selbst zu vermarkten. Als Winzer ist man nicht nur Landwirt, man muss auch Marketingexperte und Händler sein. Zum Glück hat er diese Eigenschaften an seine Erben weitergegeben, denn waren die fünf Gleise am Bahnhof mal hauptsächlich für den Transport von Wein gedacht, dürfte heute schon eines als überdimensioniert gelten. Die De Falcos betreiben die letzte Cantina in Lecce. Besonders groß ist sie nicht, gerade einmal 20 Hektar. „Das können wir gut bewältigen“, meint Gabriele, „und dann haben wir noch einige Partner, die Trauben für uns anbauen, die wir dann vinifizieren können.“ Man ist also ein wenig in die Fußstapfen der Genossenschaft getreten. „Es gibt noch ein paar sehr große Genossenschaften in der Region“, meint er, „aber wir haben genug Leute, die uns ihre Trauben geben. Wir zahlen deutlich mehr als andere, haben dafür aber auch höhere Ansprüche.“
Das sehen wir, als wir mit Gabriele in die Weinberge fahren, die hier naturgemäß nichts mit Bergen zu tun haben, denn das Salento ist flach. In Apulien gibt es viele Flächen, denen man anmerkt, wie intensiv sie bewirtschaftet werden und wie man der Zeit doch etwas hinterherhinkt. Bei den De Falcos sieht es so aus, wie wir das gerne hätten. Es sprießt immer wieder grün zwischen den Reben, und wenn es im Frühjahr mal zwei bis drei Tage geregnet hat, dann ist das eine Wildblumenwiese. „Ich verstehe nicht, wieso man hier bei uns im Weinbau Herbizide benutzt“, meint Gabriele, „hier ist alles flach, die Rebabstände sind perfekt, da fährt man einmal mit dem Schlepper durch und hält so das Grün im Zaum.“ Klingt logisch, scheint aber trotzdem nicht üblich zu sein.
Vielleicht ist es der Herkunft der Familie aus dem Piemont geschuldet, aber auch die Weine schmecken hier etwas anders. Es ist schon auffällig, dass keiner der Weine der De Falcos, auch die ganz einfachen nicht, diesen sehr überreifen, schon manchmal parfümiert aufdringlichen Ton haben. „Ja“, meint Gabriele, „wir warten nicht bis zum letzten Moment mit der Ernte. Unsere Trauben haben ohnehin Power ohne Ende – das muss man nicht auf die Spitze treiben. Gerade die Primitivo neigt schnell zur Fäulnis und das schmeckt man sofort. Außerdem versuchen wir die Trester nicht zu stark auszupressen, denn dann hat man die Bittertöne aus den Kernen dabei und zusammen mit der Süße und oft mehr als 15 Prozent Alkohol schmeckt das doch nicht mehr …“ Finden wir auch und sind froh, einen kleinen Familienbetrieb gefunden zu haben, der es schafft, der Kraft des Südens etwas nördliche Eleganz einzuhauchen.