Borgo di Colloredo
Ist es jetzt ein gutes oder ein schlechtes Zeichen, dass selbst der große Wine Advocate aus dieser Region bisher nur eine Handvoll Weine verkostet hat, dass auf Instagram beim Hashtag #molise nicht einmal ein Zehntel der Beiträge von #tuscany erscheinen und dass die meisten Leute, denen ich von diesem außerordentlich schönen Landstrich erzähle, etwas ratlos schauen? In Zeiten, in denen alles, was man Geheimtipp nennt, in kürzester Zeit durch sämtliche Social-Media-Accounts geschleift wird, sagen wir besser direkt: Molise ist kein Geheimtipp.
Die Molise gehört zu den kleinsten Regionen Italiens, und das erst seit 1963. Die Einwohner haben sich aber schon immer als eigenständig gesehen, was sie auch zum Ausdruck bringen, denn schließlich „waren wir die Letzten auf der Halbinsel, die sich gegen die Usurpation aus Rom gewehrt haben“, vor ca. 2.500 Jahren. Und weil man so schön zwischen Meer und den Ausläufern des Apennins lebt und alle hektischen Metropolen weit weg sind, lässt man es ruhig und gelassen angehen. Der Weinbau wird hier ganz klassisch ergänzt durch hochwertiges Gemüse und Fischfang. Bei den Brüdern Enrico und Pasquale Di Giulio sind es Wein und Gemüse, den Fisch kann man sich nachts am Kutter direkt im Hafen holen. Enrico ist Önologe, Pasquale Agronom und so wachsen auf dem Land der Di Giulios neben Montepulciano, Aglianico, Grecco, Falanghina oder Sangiovese auch Pomodori, Finocchio, Carciofi und was das Land noch so hergibt.
Das Gemüse, wir haben es gekostet, gehört zu dem besten, was wir probiert haben – Fenchel so duftig und saftig, dass er mit den Orangen (frisch vom Baum) auf dem Gaumen tänzelte. „Unser Gemüse ist relativ teuer“, sagt Pasquale, „daher kommt das nicht überall auf den Markt.“ „Aber das ist wie bei den Fischern hier“, ergänzt Enrico, „die fangen fast alle mit der Angel. Hochwertig, nachhaltig, aber teuer. Was nicht vor Ort verzehrt wird, geht direkt nach Mailand oder Rom, in die Sterne-Restaurants.“
Und der Wein? Die beiden lächeln etwas verlegen. „Glaube, da sind wir ganz gut im Preis …“ Ganz gut? Unserer Meinung nach ist der Wein der beiden Brüder erstaunlich günstig. „Ach, wir kommen über die Runden“, sagt Enrico lächelnd.
Vielleicht liegt das auch daran, dass Enrico nicht nur Önologe aus Leidenschaft ist, sondern auch perfekt organisiert. Wir haben selten ein so einfaches und doch gut strukturiertes Weingut gesehen. Alles unscheinbar, aber wenn man Enrico fragt, merkt man, dass er seine Arbeit im Weinkeller genauso gewissenhaft, sorgfältig und sauber erledigt wie im Weinberg.
„Das eine geht ja nicht ohne das andere“, meint er und ergänzt: „Unsere Weine kennt kaum jemand in der Welt, also müssen wir sehen, dass wir sehr gute Weine zu einem vernünftigen Preis machen. Wir werden hier keine unbezahlbaren Icon-Weine machen – das passt auch irgendwie nicht zu uns. Aber wir haben hier alles, was ein glückliches Leben ausmacht, und das muss man auch in unseren Weinen wiederfinden.“ Lebensfreude in Flaschen zu füllen, ist eine einfache Philosophie.
Etwas oberhalb des Weinguts haben sie eine Masseria gebaut, einen weißen eleganten Bau, klassisch und modern zugleich. Man kann ihn mieten und dann am Pool seine Hochzeit feiern und mit Freunden eine Woche im Schlaraffenland verbringen, umgeben von Weinbergen und viel Nichts. Spektakulär ist der Ausblick von der Dachterrasse auf das blau schimmernde Meer und noch spektakulärer der Sonnenaufgang. „Ein bisschen Tourismus haben wir ja hier“, meint Pasquale entschuldigend. Aber wenn man es mit den hippen Destinationen weiter im Süden in Apulien und den klassischen Strandgebieten von Pescara bis Rimini vergleicht, dann herrscht hier Ruhe. Im schönen Städtchen Termoli muss man die Hotels suchen, dafür ist der Strand in beiden Richtungen endlos und der Fisch in den Restaurants frisch.