Alles fliesst – unsere Weinreise am Rhein entlang
Was hat der arme alte Strom schon alles mitmachen müssen. So viele Etiketten haften ihm an – zum Beispiel die mythische Überhöhung zum Fluss der Deutschen, begradigt bis zur Unkenntlichkeit, industrieller Abwasserkanal, wichtigste Handelsroute nördlich der Alpen, Grenze zum Barbarenland ... romantisch besungen, touristisch überlaufen, geliebt, umkämpft und missachtet, aber immer mittendrin.
Fast alle deutschen Weinanbaugebiete liegen immer noch direkt am Rhein oder seinen Nebenflüssen. Mal sind es steile Schieferhänge, mal ein alter Vulkan oder sanfte Hügel am Rande eines frühzeitlichen Gletschersees, auf denen die Reben stehen. Wir sind in diesem Frühsommer den Weg der Reben nachgefahren und haben unsere Winzerinnen und Winzer links und rechts des Stroms besucht. Dabei haben wir auch sechs neue Weingüter entdeckt und in unser Sortiment aufgenommen. Darunter sind zum einen Weingüter mit langer Historie, die seit Jahrzehnten große Weine machen, auch in Zeiten, in denen man offensichtlich keine großen Weine wollte, zum anderen auch Newcomer, die ihren eigenen Weg suchen. Wir trafen Winzerfamilien, bei denen der Wandel etwas ganz Normales zu sein scheint. Mal schauen die Winzerinnen und Winzer von ihren Weinbergen direkt auf den Rhein, mal prägte der Strom die Landschaft und den Boden, aber hat sich schon längst zurückgezogen. Dennoch fühlen sich alle mit dem Rhein verbunden, der die Menschen schon immer mehr vereinte als trennte.
Rheingold
Eines der wichtigsten Epen deutscher Sprache beginnt so: „Uns ist in alten mæren wunders vil geseit/von helden lobebæren, von grôzer arebeit ...“. Der Stoff des Nibelungenlieds ist mehr oder minder geklaut. Irgendwie sind diese Heldenepen alle gleich: Götter, Menschen, Eifersuchtsszenen, erschlagene Helden und am Schluss sind alle tot. Heute gibt es das auch bei Netflix.
Zwischendurch wird ein riesiger Hort, also Schatz, im Rhein versenkt. Hagen von Tronje, eine durchaus zwielichtige Figur, versteckt ihn irgendwo in der Nähe von Worms im Rhein. Fort Knox gab es damals noch nicht und der Verwandtschaft war nicht zu trauen. Der Großtondichter, verhinderte Revolutionär, Königsfreund und Antisemit Richard Wagner machte daraus abendfüllende Opern mit tiefer Bedeutung. In der dritten, dem Rheingold, dürfen sich zu Anfang die drei Rheintöchter Woglinde, Wellgunde und Flosshilde im Wasser suhlen und Dinge wie „Weia! Waga! Woge, du Welle,/walle zur Wiege! Wagalaweia!/Wallala, weiala weia!“ stöhnen, äh, singen. Also, kurz gesagt, Gold wird geklaut und weil Gold Kapitalismus und Ausbeutung bedeutet, folgt daraus: Alles ist schlecht, vor allem Menschen, Riesen und Zwerge. Der Weltuntergang steht daher quasi vor der Tür.
Übrigens ist das Rheingold ist für Wagnersche Verhältnisse eine Kurzoper mit nur 2,5 Stunden. Und weil das alles so unglaubwürdig ist und Wagner nicht gerade als Schatzexperte angesehen wird – manche meinen, er sei eher Komponist gewesen –, gibt es immer wieder Leute, die glauben, der Schatz müsse noch im Rhein liegen. Gefunden wurde bisher nichts, aber Hagen von Tronje war so verschlagen, dass er ihn sicher gut versteckt hat. Und wenn nicht, dann liegt er eh schon längst in der Nordsee ...
Posca & Lora
Immer und überall die Römer! Wenn man sieht, wo sie überall Wein pflanzten, muss man sagen: Klar, dass das Römische Reich untergehen musste. Trunkenbolde, dekadente. Aber Wein war nicht nur Rauschmittel oder Ausdruck eines verfeinerten Lebensstils. Er war auch lebensnotwendig, vor allem für die gut geölte Militärmaschinerie Roms. Mit riesigem Aufwand sorgten die Römer dafür, dass frisches Wasser in großen Mengen in ihre Städte und Militärlager kam. Nach Köln aus mehreren Eifelquellen. Aber was tun, wenn man unterwegs ist, vor allem in Feindesland? Dafür gab es Posca und Lora, die aus Wein, Essig und etwas Wasser bestanden. Die Mischung machte es, denn die Zugabe von Essig und Wein zum eventuell vor Ort nicht ganz so sauberen Wasser wirkte desinfizierend und erhielt die Gesundheit der Truppe. Auf erstaunlich guten Straßen wurden große Mengen davon transportiert. Amateure reden von Taktik, Profis von Logistik.
Übrigens machten sich die Römer nicht weniger Gedanken über die Ableitung des nicht mehr frischen Wassers, wie der große römische Abwasserkanal unter der Kölner Innenstadt zeigt. Der Weinbau kam nach dem Verschwinden des Römischen Reiches nur kurz zum Erliegen, die anderen Errungenschaften wurden teilweise erst Anfang des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt.
Wasser verbindet
Der Limes, der Anspruch des revolutionären Frankreichs auf das westliche Rheinland ... Es scheint, als wären Flüsse oftmals auch Grenzen gewesen. Das ist allerdings nur eine Wahrheit, denn Menschen, die an den Flüssen leben, haben das oft anders gesehen. Zur Römerzeit gab es zum Beispiel in Köln eine Brücke zum Ostufer nach Deutz. Dort stand zwar ein Kastell, aber man baut weder Brücke noch Kastell, nur weil Deutz so schön ist, sondern weil dort eine Handelsroute entlangging.
Der Limes überquerte kurz vor Koblenz den Rhein und ging quer durch Wälder und über Höhen fast bis nach Regensburg. Wenn man in einen Atlas mit Sprachgrenzen schaut, stellt man fest, dass die Grenze zwischen Hoch- und Niederdeutsch, die Benrather Linie, quer und nicht längs zum Rhein verläuft. Damit trennt sie Köln von Düsseldorf und nicht Bayenthal von Poll. Mehr noch: Solche Sprachgrenzen weisen nicht selten eine Art geographische Verwandtschaft zu schiffbaren Flüssen in Fließrichtung auf. Logisch, denn Flüsse waren und sind Handelswege und mit Fracht geht es am besten flussabwärts, wo auch das Meer und größere Märkte warten. So verbindet der Handel die Menschen auf allen Seiten des Stroms und trennt sie nicht. Und wer im Mittelalter ein Fässchen Wein aus dem Rheingau nach Rotterdam schipperte, machte sicher in Köln halt, schenkte ein Gläschen aus und versuchte, den seltsamen Dialekt der Einheimischen zu verstehen.